Interior Designer Fabian Freytag: "Leidenschaftsloses Wohnen ist ein riesiger Fehler!"
Er sagt von sich selbst, dass er „ein sehr ausgeprägtes Augenrollen“ an den Tag legen könne, wenn seine Familie ihn um Einrichtungstipps bittet. Dabei ist der Stil von Fabian Freytag alles andere als elitär – im Gegenteil.
Er sagt von sich selbst, dass er „ein sehr ausgeprägtes Augenrollen“ an den Tag legen könne, wenn seine Familie ihn um Einrichtungstipps bittet. Dabei ist der Stil von Fabian Freytag alles andere als elitär – im Gegenteil.
Der studierte Architekt mit eigenem Studio in Berlin zelebriert Interior Design auf einem Niveau, das für die deutsche Szene einzigartig ist. Wir durften mit ihm über sein neues Buch „Gently Radical“, holzgewordene Wohnalbträume, die Neugestaltung des Kanzleramtes und inspirierende Reisen nach Italien sprechen.
GALA.DE: Der mutige, intensive Stil der Siebziger Jahre ist Ihre größte Inspiration. Das belegt Ihr neues Buch „Gently Radical“ eindrucksvoll. Wie kam es zu der Begeisterung für genau diese Epoche?
Fabian Freytag: Eigentlich fing alles mit meinem Büro in Berlin an, einem riesigen Raum mit vier Metern Deckenhöhe. Da stellte ich mir die Frage: Welche Story will ich eigentlich erzählen? Man braucht einen Urknall, einen Startpunkt, von dem aus man beginnen kann. Ich wollte eine Parallelwelt schaffen, in die man eintaucht und die als Bruch zur Wirklichkeit fungiert. Gewünscht habe ich mir dafür Möbel, die Zukunftsoptimismus ausstrahlen. In den Seventies war unglaublich viel los. Die Mondlandung, Hippies, synthetische Drogen, gesellschaftliche Prozesse – all das kam auf und hat den Blick der Menschen nach vorne gerichtet. Und genau so möchte ich auch gestalten. Das, was wir angucken, sollte uns schöne Gedanken machen.
Gibt es so etwas wie einen „deutschen Einrichtungsstil“?
Das Bauhaus hat in Deutschland sicherlich den größten Einfluss. Die Frage, wie gutes Design massentauglich werden kann, zieht sich bis heute durch, da sind wir ein bisschen hängen geblieben.
„Sehr reduziert“ und „Klassiker“ sind Begriffe, die mir sofort in den Sinn kommen. Und die Eskapaden der Neunziger mit ihren Wohnzimmer-Schrankwänden. Alles muss bei uns Deutschen seine Ordnung haben und darf auf gar keinen Fall leidenschaftlich sein. Da sind uns die Briten zum Beispiel weit voraus. Deutschland hat noch einen weiten Weg zu gehen. Wir brauchen ein stilistisches Selbstbewusstsein und weniger Einheitsbrei.
Wäre es für Sie vorstellbar, in einem Mix aus Ikea, Scandi Design und beigem Boho-Look zu leben?
Einrichten geht ja auch über Fehler machen. Auch meine erste Studentenbude stand voller Möbel vom schwedischen Giganten. Dann bin ich eines Tages aufgewacht, hab alles abgebaut und weggeräumt und sechs Monate nur mit einem Bett, einem Sofa und einem Tisch gewohnt. Das haben meine Eltern mir nie verziehen (lacht). Aber durch dieses Experiment weiß ich heute ganz genau, was ich liebe, was an welcher Stelle Sinn ergibt und wie ich wohnen möchte. Ich habe nur noch Dinge, an denen mein Herz hängt, die eine Geschichte haben. Leidenschaftsloses Wohnen ist eine große Gefahr, denn so kommt man nie zu einem „Ich-Raum“, der glücklich macht.
Sie beschreiben die Lebensräume der Menschen als „Oasen des Egos“. Wie gehen Sie an neue Projekte heran?
Man muss zuhören können, was ich zum Glück sehr gut beherrsche. Die Erinnerungen der Kund:innen sprudeln im Gespräch oft nur so über. Und das formale Handwerk – wie groß ist der Raum, wie ist das Licht, welche baulichen Gegebenheiten gibt es – kommt dann natürlich noch dazu. Ich finde es wichtig, sich auch als Interior Designer nicht krampfhaft auf einen „eigenen“ Stil festzulegen, sondern immer offen für Neues zu bleiben. Inspiration gibt es wirklich überall.
Wir sind schon auch immer so ein kleines bisschen Wundertüte. Aber zum Glück haben die Leute, die uns buchen, Lust auf Überraschungen und vertrauen unserem Stil.
Welche Trends erkennen Sie gerade im Interior Design? Wie könnten Normalsterbliche diese Trends in ihrem Heim integrieren?
Ich war jüngst wieder in Mailand und habe den Kopf voller neuer Ideen. Seit 20 Jahren fahre ich zur Möbelmesse, jedes Jahr denkt man sich „Da kommt nix Neues mehr“ und dann verliert man sich doch wieder in den unglaublichen Designs.
Das Revival des Weinrots ist mir aufgefallen, nicht zuletzt, weil Gucci die halbe Stadt damit plakatiert hat. Und überhaupt Designs, die zum Träumen einladen. Wohnen ist etwas sehr Persönliches geworden, weniger repräsentativ als früher. Das bringt auch mehr Mut zu Opulenz mit sich, weil man den eigenen Wohnraum als Puffer zur Außenwelt empfindet. Der Esstisch rückt in den Mittelpunkt, denn hier werden Gäste empfangen, hier wird gegessen und gearbeitet. Er ist das zentralste Möbelstück des Lebens.
Welche Einrichtungsfehler sehen Sie immer wieder? Und wie könnte man sie vermeiden?
Das Allerschlimmste finde ich, dass viele Menschen eine fatale Liebe zu falschen Materialien haben. Das macht mich ratlos, wieso findet man das denn schön, wenn eine Klebefolie aussieht wie Marmor? Und Möbel, deren Funktion den Raum bekämpft, also zum Beispiel klobige Schränke, gehen auch gar nicht. Oder wenn durch bestimmte Trends billige, neue Produkte alten Stil vermitteln sollen – ich sag nur „Gatsby Glamour“. Da gehe ich doch besser in einen Antiquitätenladen oder suche bei Ebay nach Gegenständen, die eine Geschichte erzählen können, weil sie auch wirklich eine haben. Sowas macht mich traurig.
Aber, ich muss sagen, ein sehr weit verbreiteter Fehler liegt tatsächlich in der Grundrissordnung. Man spürt sofort, ob ein Raum zu seiner Nutzung und dem Vibe, der kreiert werden soll, passt. Ich kriege regelrecht Heulkrämpfe, wenn ich manchmal Maklerexposés zugeschickt bekomme. Dabei ist das echt keine Frage des Budgets, sondern nur von der Organisation.
Was wäre für Sie ein Traumprojekt, das Sie unbedingt mal realisieren möchten?
Ich hätte sehr gerne mal für Karl Lagerfeld gearbeitet, aber der hat seine Häuser ja immer selbst eingerichtet und nun auch eh das Zeitliche gesegnet. Aber ich glaube, das wäre sehr lustig geworden. Er ist auch als Kreativer immer offen geblieben, hat seinen Stil gewandelt und der Zeit angepasst, so etwas bewundere ich sehr. Man lernt über Ausprobieren und sollte nicht immer nur umsetzen, womit man sich sicher fühlt. Traut euch mal mehr!
Aber ganz groß gegriffen hätte ich richtig Lust, den Élysée-Palast oder das Weiße Haus, also einen repräsentativen Sitz, neu zu gestalten. Natürlich nur für demokratische Politiker:innen, nicht Le Pen oder Trump oder so. Bei uns wird das Bundeskanzleramt ja leider nicht mit jedem Machtwechsel umgestaltet, aber wie cool wäre das bitte?! Dann drehen wir den Axel-Schultes-Bau mal auf Fabian Freytag. (lacht) Man kann doch auch in schönen Räumen Politik machen! Die Demokratie kann farbige Wände vertragen.